Souvenirs - vor allem auch religiöse - gibt es in Jerusalem fast überall zu laufen - für viele Pilgerinnen und Pilger kommt aber nur ein Tattoo als Andenken in Frage.
Souvenirs - vor allem auch religiöse - gibt es in Jerusalem fast überall zu laufen - für viele Pilgerinnen und Pilger kommt aber nur ein Tattoo als Andenken in Frage.
Seit Jahrhunderten lassen sich manche Jerusalem-Pilgerinnen und Pilger tätowieren – als Zeichen dafür, dass sie die heilige Stadt besucht haben.
"Eine Tätowierung, ich?" Gülnaz lacht. "Das ist eher was für Ältere!" Die Warteschlange im Raum hinter der 35-jährigen syrisch-orthodoxen Christin ist lang, und tatsächlich liegt das Durchschnittsalter jener, die sich den Beweis ihrer Pilgerreise nach Jerusalem unter der Haut stechen lassen wollen, weit über sechzig Jahren. Jedes Jahr zu Ostern verewigen hunderte zumeist orthodoxe Pilger den Besuch in der heiligen Stadt mit einer Tätowierung - eine Tradition, die mehr als 500 Jahre zurückreicht.
Es ist laut und heiß in dem improvisierten Tattoo-Studio im Seitenflügel der syrisch-orthodoxen Kirche in der Jerusalemer Altstadt. Immer wieder mahnt Tätowierer Daniel Boulitchev die Wartenden zu Ruhe und Geduld. "Zwei Stunden haben wir gestern gewartet, heute sind wir wiedergekommen", sagt Feride und schielt auf den zerknitterten Zettel ihres Sitznachbarn. Die Warteliste ist lang, die in der Türkei geborene Christin wird sich noch lange gedulden müssen.
"Ich möchte ein Tattoo als Zeichen, das wir Pilger sind"; sagt Feride und lacht: "Ein heiliges Tattoo, sonst hat es keine Bedeutung!" Die 61-jährige fünffache Großmutter hat ein Foto mitgebracht. Diese Maria mit Jesuskind auf dem Arm soll es sein, "so wie bei meiner Schwester, nur ein bißchen heller". Gülnaz übersetzt.
Wo Pilger ein Motiv aus der Auswahl an Kreuzen, Christus- oder Marienbildern auswählen, ist die Arbeit für Daniel und seinen Kollegen einfach. Kommen Sonderwünsche wie bei Feride ins Spiel, ist Kreativität gefragt. Daniel und sein Kollege sprechen Hebräisch, Russisch und Englisch. Die Pilger sprechen Syrisch-Aramäisch und Arabisch. "Alle gehören zur syrisch-orthodoxen Gemeinde, aber sie kommen aus aller Herren Länder", erklärt Boulitchev. Feride lebt in Bremen, Gülnaz in Brüssel. Die Mehrheit kommt in diesem Jahr aus Schweden und aus Deutschland.
Für orthodoxe Christen ist die Pilgerfahrt nach Jerusalem eine religiöse Pflicht, erklärt Gülnaz. "Das Tattoo ist das Zeichen, dass man im Heiligen Land war, es ist ein Zeichen des Glaubens. Es hat eine viel tiefere Bedeutung, als eine Tätowierung aus Europa: Davor steht ein langer Weg!" Ein Weg, der in früheren Zeiten lang und sehr schwierig war, und bis heute bleibt der Respekt der Daheimgebliebenen vor dem Pilger: "Nach der Rückkehr begrüßt die ganze Familie den Pilger, in dem sie sein Tattoo küssen."
Die klassischen Motive im der syrisch-orthodoxen Kommunität sind Ikonen von Christus oder Maria plus das Jahr der Pilgerreise; koptische Christen bevorzugen Kreuzmotive, und auch unter Katholiken ist das Jerusalemkreuz als Motiv verbreitet. Obschon die Tradition aus dem Orient stammt, haben sich europäische Christen rasch anstecken lassen: Der älteste Beleg für ein Tattoo in europäisch-katholischer Haut stammt aus einem Pilgerbericht aus dem Jahr 1484. "Heute wählen viele aber weniger explizit-religiöse Motive", sagt Gülnaz, "etwa den Schriftzug Jerusalem in Altaramäisch".
Über Jahrhunderte war die Tinte unter der Haut das sicherste Andenken an die erfüllte religiöse Pflicht - es konnte auf der beschwerlichen Reise nicht verloren gehen oder gestohlen werden. Ein Argument, das mit wachsender Mobilität und Reisesicherheit seit dem 19. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung verliert. Von vier Studios, die noch im vergangenen Jahr Kreuze und Ikonen im Akkord stachen, sind an diesem Osterfest nur noch zwei geöffnet.
"Pilgertattos sind was für Alte", wiederholt Gülnaz. Miden-Martha widerspricht. "Das gehört einfach dazu", sagt die 14-jährige syrische Christin aus Stuttgart. Und auch der knapp 20-jährige Ishok hat "lange überlegt. Ich denke aber, ich bräuchte erst den Segen meiner Familie!" Diese Sorge hat Miden-Martha nicht: "Meine ganze Familie lässt sich tätowieren. Das ist ein Zeichen des Glaubens und dafür, das wir stolz sind, Aramäer zu sein."