Kardinal Schönborn: Im "Dies Irae" fallen das Schaudern über Gottes Größe und das dankbare Staunen über die Barmherzigkeit Christi zusammen.
Kardinal Schönborn: Im "Dies Irae" fallen das Schaudern über Gottes Größe und das dankbare Staunen über die Barmherzigkeit Christi zusammen.
Gottesdiest zu Allerseelen im Stephansdom: Kardinal Schönborn über vertonten mittelalterlichen, liturgischen Gesang "Dies Irae": Hier fallen Schaudern über Gottes Größe und Staunen über Barmherzigkeit zusammen.
Das Requiem in d-Moll, das letzte Werk des bei der Komposition 1791 verstorbenen Musikgenies Wolfgang Amadeus Mozart, stand im Mittelpunkt des Allerseelen-Gottesdienstes am Dienstagabend im Stephansdom - nicht nur musikalisch, sondern auch theologisch. In seiner Predigt meditierte Kardinal Schönborn widmete über die lange mittelalterlichen Sequenz "Dies Irae", bis zur Liturgiereform fester Bestandteil des Gottesdienstes für Verstorbene. Der darin beschriebene streng richtende Gott zeige eine heute in den Hintergrund getretene Facette des christlichen Gottesbildes. Doch im "Dies Irae" (lat.: "Tag des Zorns") fallen das Schaudern über Gottes Größe und das dankbare Staunen über die Barmherzigkeit Christi zusammen, wies Schönborn hin.
Als junger Ordenspriester habe er den Hymnus aus der Zeit des heiligen Franziskus in seiner lateinischen Ursprungsversion regelmäßig gesungen, erzählte der Kardinal in seiner Predigt. Zeilen wie "Sitzt der Richter dann zu richten, Wird sich das Verborgne lichten; Nichts kann vor der Strafe flüchten" seien später als ein heute unpassendes Bild eines richtenden, ja rächenden Gottes abgetan worden. Auch Nahtod-Erfahrungen mit häufigen Schilderungen von Licht und großer Freude schienen ein deutlich milderes Gericht nach dem Sterben nahezulegen.
Dem hielt Schönborn entgegen, dass gläubige Christen - und wohl auch Mozart - Jahrhunderte lang am Gottesbild des "Dies Irae" festgehalten und sich mit diesem Text auf ihr Sterben vorbereitet hätten. Das zeige sich auch in Darstellungen des Jüngsten Gerichts in der Bildenden Kunst - etwa in der Sixtinischen Kapelle Der Wiener Erzbischof stellte die Frage, ob das hier zum Ausdruck kommende Schaudern vor der Allmacht und Größe Gottes nicht vielleicht doch zu sehr verloren ging. Gott sei zwar der "liebe" Gott, aber auch die Liebe könne erschreckend, gewaltig und heilig sein.