Am 4. Mai 1952 bekannte sich die Katholische Kirche in Österreich zum Prinzip der wechselseitigen Unabhängigkeit von Kirche und Staat bei gleichzeitiger Kooperation.
Am 4. Mai 1952 - heute vor 70 Jahren - wurde mit dem "Mariazeller Manifest" ein zentrales Leitdokument der Katholischen Kirche Österreichs im 20. Jahrhundert veröffentlicht. Das "Manifest" stellt eine Zusammenfassung einer Studientagung vom 1. bis 4. Mai 1952 dar, die zugleich der Vorbereitung des Österreichischen Katholikentages im September 1952 darstellte. Die Beratungen sowie der folgende Katholikentag stand unter dem Titel "Freiheit und Würde des Menschen". Als markanteste Formulierung des "Manifests" gilt das Bekenntnis zu einer "freien Kirche in einer freien Gesellschaft". Dies markiere zugleich ein "Anliegen, aber auch Ergebnis der Studientagung in Mariazell", wie "Manifest"-Autor Richard Barta notierte.
Kardinal Franz König (1905-2004) bezeichnete das "Mariazeller Manifest" als "Bekenntnis der österreichischen Kirche zu Demokratie und politischem Pluralismus, zu dem es keine Alternative gibt". Auch später wurde in religionspolitischen Debatten und Positionierungen immer wieder auf den Text und die Aktualität seiner Aussagen zum Staat-Kirche-Verhältnis rekurriert.
Die Neubestimmung dieses Verhältnisses war vor allem aufgrund der Zeit des Zweiten Weltkrieges bzw. des Nationalsozialismus' notwendig geworden.
Entsprechend erläutert der Text den Begriff der "freien Kirche" in Form von vier Absagen: "Keine Rückkehr zum Staatskirchentum vergangener Jahrhunderte, das die Religion zu einer Art ideologischen Überbau der staatsbürgerlichen Gesinnung degradierte"; "Keine Rückkehr zu einem Bündnis von Thron und Altar, die das Gewissen der Gläubigen einschläferte"; "Keine Rückkehr zum Protektorat einer Partei über die Kirche"; "Keine Rückkehr zu jenen gewaltsamen Versuchen, auf rein organisatorischer und staatsrechtlicher Basis christliche Grundsätze verwirklichen zu wollen."
Stattdessen gehe es um ein produktives Zusammenwirken von Staat und Kirche in Äquidistanz: Schließlich bedeute eine freie Kirche "nicht eine Kirche der Sakristei oder des katholischen Ghettos", sondern eine "Kirche der weltoffenen Türen und ausgebreiteten Arme, bereit zur Zusammenarbeit mit allen" - etwa in Fragen der Ehe, Familie und Erziehung, aber auch mit anderen Konfessionen im Ringen um die Würde des Menschen, so das "Manifest". "Eine freie Kirche kann nur leben, die Würde des Menschen ist nur gesichert in einer freien Gesellschaft."
Schließlich benennt das Dokument auch konkrete gesellschaftliche bzw. gesellschaftspolitische Baustellen - etwa die "Not der Familien", die sich in mangelndem Wohnraum, in "unbezahlter und oft ungewürdigter Schwerarbeit" der Frauen oder auch in mangelndem Lebensschutz und einer unterdotierten Familienpolitik zeige. "Ist wirklich kein Geld da, kein Geld für Familienlöhne, Wohnbau, Schutz von Mutter und Kind?"
Abschließend hält das "Mariazeller Manifest" fest: "Unbelastet von den Bindungen der Vergangenheit, in unlösbarer Gemeinschaft mit der Weltkirche, schreitet sie in die Zukunft, die sie mitgestalten wird, als freie Kirche in freier Gesellschaft, als eine wahre Kirche des 20. Jahrhunderts."