Die an der Universität Wien lehrende Moraltheologin Sigrid Müller verteidigt die Entscheidung von Papst Franziskus zur vollständigen Ablehnung der Todesstrafe.
Die an der Universität Wien lehrende Moraltheologin Sigrid Müller verteidigt die Entscheidung von Papst Franziskus zur vollständigen Ablehnung der Todesstrafe.
"Wenn wir die Würde des Menschen ernst nehmen, muss das für jeden Menschen gelten, auch für einen Verurteilten“.
Die an der Universität Wien lehrende Moraltheologin Sigrid Müller hat die Entscheidung von Papst Franziskus zur vollständigen Ablehnung der Todesstrafe gegen Kritiker verteidigt. Die Entscheidung des Papstes sei "eine logische Fortentwicklung von dem, was sich in den letzten Jahrzehnten in der kirchlichen Diskussion abgezeichnet hat", sagte Müller in einem Interview mit der Kooperationsredaktion der heimischen Kirchenzeitungen: "Wenn wir die Würde des Menschen ernst nehmen, muss das für jeden Menschen gelten, auch für einen Verurteilten. Diese Würde lässt sich aber nur verteidigen, indem man die Todesstrafe ablehnt." Das Interview erscheint in den Ausgaben für Sonntag, 26. August 2018.
Anfang August diesen Jahres vermeldete der Vatikan eine Änderung des derzeit gültigen Katechismus der katholischen Kirche (Artikel 2267), wonach die Todesstrafe ab sofort "unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt". Die Kirche setze sich daher "mit Entschiedenheit" für die Abschaffung der Todesstrafe in der ganzen Welt ein. In der zuvor gültigen Fassung hieß es, die Kirche schließe die Todesstrafe unter bestimmten Bedingungen nicht aus, wenn dies der einzige Weg wäre, Menschen vor einem Aggressor zu schützen.
Prof. Müller betonte im Kirchenzeitung-Interview, dass es auch in der Lehre der Kirche eine Weiterentwicklung gibt. Als der Katechismus 1992 erschien, war die Todesstrafe unter bestimmten engen Voraussetzungen noch erlaubt. Damals sei das Argument noch stärker präsent gewesen, dass der Staat diese letzte Möglichkeit haben müsse, wenn gar nichts anderes mehr geht. Aber in den kirchlichen Dokumenten seither sei dieses Argument immer mehr abgeschwächt worden, indem man betonte, dass es solch eine Situation eigentlich nicht mehr gibt", erläuterte die Moraltheologin.
1997 hatte es schon geheißen, die kirchliche Lehre schließe die Todesstrafe nur dann nicht aus, "wenn dies der einzig gangbare Weg wäre, um das Leben von Menschen wirksam gegen einen ungerechten Angreifer zu verteidigen". Und 2015 habe Papst Franziskus geschrieben, eine Hinrichtung sei keine Verteidigungssituation.
Kritker der Entscheidung des Papstes hatten u.a. ein kirchliches Dokument aus dem Mittelalter angeführt: Für Müller freilich kein brauchbares Argument: "Das hieße ja, den Heiligen Geist an einem Punkt in der Geschichte anzubinden. Mit Blick auf die Geschichte sehen wir ein wachsendes Verständnis in der Kirche für die Würde des Menschen."
Der Glaube der Kirche werde gelebt, er sei "nicht einfach ein Stein, den man weiterreicht". Es gebe nur sehr wenige Aussagen, die von Päpsten als unfehlbares Dogma erklärt wurden, so die Theologin: "Die Kirche hat in der Vergangenheit Fehler begangen und Abbitte geleistet. Zu behaupten, es würde kein Wachstum im Verständnis des Glaubens geben, würde heißen, den Heiligen Geist in seinem Wirken zu behindern." Insofern müsse man Formulierungen auch im Katechismus verändern, wenn sie nicht mehr dem Glauben der Kirche entsprechen.