Christian Bauer lehrt an der Universität Innsbruck.
Christian Bauer lehrt an der Universität Innsbruck.
Innsbrucker Theologe bei Pastoraltagung: Es braucht auch Ökumene mit Säkularen. Plädoyer für einen "Glauben, der sich weigert, das Fehlen religiöser Zeichen auch für das Fehlen Gottes zu halten".
Religiöses und Säkulares vermengen sich, und das nicht erst in der heutigen pluralen, "postsäkularen" Gesellschaft, sondern bereits in den Grundsätzen des Christentums: Wie der Innsbrucker Pastoraltheologe Christian Bauer bei der Pastoraltagung in Salzburg am Freitag, 11. Jänner 2019 erklärte, bekennen sich Christen ja zu einem Gott, der "nicht eine Religion schuf, sondern die Welt", und dessen Heilswille sich eben auf diese ganze Welt erstreckt.
Schon allein deshalb empfiehlt Bauer neben der innerchristlichen und interreligiösen Ökumene auch eine Ökumene mit säkularen, "religiös unmusikalischen" Zeitgenossen, z.B. in Form von Gesprächen am "Kneipentresen", wie es der aus Deutschland stammende Theologe nannte.
Engelsglaube, Schamanenkult oder "Fußball-Liturgie" seien Kennzeichen einer "Gläubigkeit", die sich längst auch abseits institutionalisierter Religion manifestiert. Und so unterschiedlich Gottglaubende sind, so unterschiedlich seine auch Säkulare, die nicht von vornherein areligiös oder gar antikirchlich seien, wie Bauer hinwies. Der Pastoraltheologe plädierte in seinem Vortrag mit dem Titel "Ich bin nicht religiös, ich bin normal" für einen "Glauben, der sich weigert, das Fehlen religiöser Zeichen auch für das Fehlen Gottes zu halten". Kirchenvertreter konnten vom Zugehen auf vermeintlich "Fernstehende" ("Steht nicht auch die Kirche vielen fern?") und deren Lebenserfahrungen sehr profitieren. Und ein seelsorgliches Sich-Hineinwagen auf säkulares Neuland könne vom Druck befreien, Menschen zwanghaft bekehren zu müssen. Bauer erinnerte hier an den Buchtitel des Befreiungstheologen Leonardo Boff "Gott kommt früher als der Missionar".
Und: Kontakt mit Säkularen schule auch den Blick für das Wesentliche am Christentum. Christian Bauer empfahl seinen rund 400 Zuhörern im Salzburger Bildungshaus St. Virgil die Übung, in nur einer Zigarettenlänge zu erklären, was Christentum ist. Das sei einfach und jenseits von Kirchenamtlichem, nämlich "reduzierbar auf die Person Jesu und die Erfahrungen, die Menschen mit ihm machten". Im übrigen habe auch Jesus Wege ins Säkulare gewiesen: Bauer erinnerte an die Entsakralisierung des Sabbats, der "für die Menschen da" sei und nicht umgekehrt.
Auch gläubige Christen seien so etwas wie "Alltagsäkulare", die "nicht ständig an Jesus und das Evangelium denken", meinte der Innsbrucker Theologe auch bei einem Kirchenzeitungsinterview im Hinblick auf seinen Pastoraltagungsvortrag. Trotz steigender Säkularisierung müssten sich glaubende Menschen nicht für ihre Religiosität rechtfertigen. Denn: "Der Normalfall ist wohl am ehesten ein ziemlich neutrales Desinteresse." Laut neueren religionsoziologischen Untersuchungen sind die meisten Menschen nicht mehr antikirchlich eingestellt, sondern für sie gebe es "schlicht und einfach Wichtigeres in ihrem Leben als Gottesdienst, Kirchenkaffee und Pfarrgemeinderat", so der Professor für Interkulturelle Pastoraltheologie und Homiletik an der Uni Innsbruck gegenüber der Kooperationsredaktion der Kirchenzeitungen.
Die Zukunft der Kirche hängt laut Bauer auch davon ab, ob sie sich als eine "Gemeinschaft der Suchenden" versteht, "die auf ihrem Weg der Nachfolge Jesu anderen Menschen ihre solidarische Weggemeinschaft anbietet - nicht aufdrängt". Mission würde dann bedeuten, dass die Kirche "aus sich herausgeht" - nicht primär um andere zu bekehren, sondern um von und mir ihnen zu lernen. Die Kirche solle Mission nicht betreiben, weil die Säkularen "uns brauchen, sondern wir sie."
Bauer warnte ähnlich wie der Konzilstheologe Karl Rahner vor Tendenzen zu einer "Ghettoisierung der Kirche". Bei einem "Gesundschrumpfen" würde auch vieles verlorengehen, was schon die Jesusbewegung ausmachte, nämlich die "vielfältigen Wege einer abgestuften Zugehörigkeit mit offenen Rändern". Es werde wohl kein Christentum "der großen Zahlen" mehr geben oder eines, "das unsere Gesellschaft machtvoll dominiert". Bauer hofft aber auf Christen als eine "schöpferische Minderheit, die auf andere genau deshalb anziehend wird, weil sie das Evangelium Jesu in die Gesellschaft hinein freigibt."
Die Kirchen sind nach wie vor Hauptanbieter auf dem sich auffächernden Markt an Lebensübergangsritualen: 56 Prozent aller Kinder in Österreich werden getauft, fast zwei Drittel aller Verstorbenen kirchlich bestattet. Bei den Trauungen allerdings sank dieser Prozentsatz zuletzt auf 24, wie die in Tübingen lehrende Pastoraltheologin Teresa Schweighofer am Freitag bei der Pastoraltagung ausführte. Dass 1950 noch 97 Prozent aller Taufen, 89 Prozent aller Begräbnisse und 72 Prozent aller Eheschließungen im kirchlichen Rahmen gefeiert wurden, liege am steigenden Anteil Anders- oder Nichtglaubender, aber auch am Umstand, dass heute "rituelle Lebensbegleitung auf den Markt gekommen" sei und damit zunehmend auch außerhalb der Kirche angeboten wird - als flexible, individuell zugeschnittene Dienstleistung etwa für Bindungswillige, Jubilare, Abschiednehmende oder Mondsensible, wie Schweighofer darlegte.
Der Grund für deren Inanspruchnahme liege oftmals in der Unzufriedenheit mit Kirchenritualen und Sakramenten, manchmal - wie im Fall gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder Wiederverheiratungen - an kirchenrechtlichen Hindernissen, aber auch an der Angst davor, bei Kirchenritualen etwas falsch zu machen. Die Alternativangebote dazu sind, wie die aus Österreich stammende Theologin für ihre Doktorinnenarbeit ausfindig machte, durchaus nicht areligiös. Vielfach würden diese Rituale abseits religiöser oder staatlicher Institutionen sogar von kirchlich verbundenen bzw. sozialisierten Zeremonienleitern offeriert.
Für Schweighofer ergeben sich aus dem relativ neuen Phänomen folgende Konsequenzen für die Kirchen: Es gelte Augenmerk auf die Qualität der eigenen Rituale und Sakramente zu legen - bei gleichzeitigem Vertrauen in die Kompetenz und Kreativität der vorhandenen Akteure; und durch den Kontakt mit den meist gar nicht kirchenfeindlichen Alternativritual-Anbietern komme es zu Anregungen etwa zu den Bedürfnissen jener, "die nicht mehr kommen". Jedenfalls gelte es als Grundsatz ernst zu nehmen: "Die Menschen sind Subjekte ihrer eigenen Gottesbeziehung."