„Wir sollten nicht über Menschen mit Demenz reden, als wären sie gar nicht da“, sagt Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser.
„Wir sollten nicht über Menschen mit Demenz reden, als wären sie gar nicht da“, sagt Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser.
Gesellschaftliches Umdenken bei Demenz nötig.
Die Entlastung pflegender Angehöriger von Demenzpatienten, den Ausbau von Unterstützungsangeboten für diese Gruppe, den Aufbau eines Betreuungsnetzwerkes für Betroffene und mehr niederschwellige Information und Beratung: Das fordert die Diakonie von der österreichischen Bundesregierung. Deren "Masterplan Pflege" sei "kein Zukunftsmodell zur Lösung der Pflegefrage" kritisierte Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser bei einer Wiener Pressekonferenz am Gründonnerstag, 18. April 2019. Da die genannten Ziele bereits in der Demenzstrategie von 2015 enthalten waren, wäre es wichtig, diese "aus der Schublade herauszuholen und umzusetzen", so ihr Appell zum Start eine Diakonie-Informationskampagne zu Demenz.
Dringlich sei das Thema angesichts der demografischen Entwicklung, unterstrich die Sozialexpertin mit Verweis auf die derzeit 950.000 Menschen in Österreich, die ihre Angehörigen derzeit zuhause pflegen; Bei dieser Gruppe, die zur Hälfte über 60 Jahre alt ist und keine formelle Unterstützung durch mobile Dienste, Kurzzeitpflege oder Tageszentren erhält, handle es sich um den "größten Pflegedienst im Land". Speziellen Pflegebedarf hätten dabei die rund 130.000 Menschen mit Demenz, deren Zahl sich bis 2050 Prognosen zufolge verdoppeln dürfte. Die Kraft der pflegenden Angehörigen sei "nicht grenzenlos", mahnte Moser mit Blick auf die Regierungspläne, die weiter auf die Angehörigen setzen und keine Finanzierung für den Ausbau professioneller Unterstützung vorsehen.
Konkret forderte Moser, dass die stundenweise Betreuung von Menschen mit Demenz zuhause ebenso ausgebaut werden müsse wie die Tageszentren. Es brauche eine professionelle Koordination der "helfenden Hände", um ein gutes Betreuungsnetzwerk um Betroffene aufzubauen, und die "Lücke rund um die Diagnose" müsse geschlossen werden. Dazu brauche es niederschwellige Informationsangebote, denn mit durchschnittlich zwei bis drei Jahren dauere es oft viel zu lange, bis Betroffene oder Angehörige nach einer Diagnose Beratung einholten. Zum Abbau des Pflegekräftemangels seien Maßnahmen nötig, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen - wie etwa das Abkommen von "eingetakteten Konzepten", die Einführung von Zeitpuffern und die Erkenntnis, dass gute Pflege mehr sei als bloß die Sorge darum, die Menschen "satt und sauber" zu hinterlassen.
In ihrer Informationskampagne will die Diakonie insbesondere die Situation pflegender Angehöriger in den Fokus rücken, aber auch den gesellschaftlichen Blick auf die Krankheit ändern: "Die Botschaft von Ostern ist, hinzuschauen auf das Leiden und die Endlichkeit, aber zu sehen, das Leben ist stärker als der Tod. So ist es auch mit der Demenz: Vieles schwindet, aber das gute Leben ist stärker", erklärte Moser. Demenz sei ein angst- und schambesetztes Thema, viele Angehörige trauten sich nicht darüber zu sprechen oder würden es vermeiden, mit betroffenen Partnern, Eltern oder Großeltern in die Öffentlichkeit zu gehen. Gerade dieses Verhalten könne aber Symptome noch verstärken: "Wir sollten nicht über Menschen mit Demenz reden, als wären sie gar nicht da ", unterstrich die Diakonie-Direktorin.
Im "kathpress"-Gespräch am Rande der Pressekonferenz betonte Moser, dass Demenz vor allem deshalb ein schambehaftetes Thema sei, weil die Krankheit das eigene Menschenbild in Frage stelle. "Der Mensch ist ganz auf die Vernunft festgelegt, mit der Demenz wird die Emotion wichtiger. Die kognitiven Fähigkeiten nehmen ab." Auch das Wissen verändere sich: "Menschen mit Demenz haben weniger ein kognitives Wissen, sondern mehr ein Erfahrungswissen, also das, was ihnen in Fleisch und Blut übergegangen und stärker mit dem Körper verbunden ist." Das führt dazu, dass man sage: "Demenz heißt Persönlichkeitsverlust, Verlust des eigenen Ichs." Sie halte das für ein großes Problem, saget Moser. Es stelle sich die Frage, "ob wir als Gesellschaft bereit seien, zu akzeptieren, dass unser Leben endlich sei".
Zur Frage, ab wann Betroffene ins Heim gehen sollten meinte die Diakonie-Direktorin, dass es hier keine Rezepte gebe: "Menschen mit Demenz haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse und es ist ganz zentral, bei den individuellen Bedürfnissen und Ressourcen anzusetzen und zu schauen, welches Betreuungsangebot am besten passt."
Moser fand es auch aus christlicher Sicht problematisch, dass die Pflegefrage immer über die Kosten thematisiert werde. "Menschen, die Pflege brauchen sind alt, haben ihr Leben lang gearbeitet und es sich verdient, im Alter die Unterstützung zu bekommen, die sie brauchen und nicht nur als Kostenfaktor betrachtet zu werden." Auch volkswirtschaftlich gesehen sei anzumerken, dass 70 Prozent der Pflege-Investitionen über Steuern und dergleichen wieder ins System zurückfließen würden. "Der ganze Sozial- und Pflegebereich ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor", so Moser.
Einblicke in die Perspektive von Demenzkranken gab bei der Pressekonferenz Heike Schönbacher, Pflegedienstleiterin in einem Seniorenheim der Diakonie in Graz. Die Wahrnehmung, dass ihr Leben "nicht mehr so funktioniert", sei für sie eine große Herausforderung, die zu "herausforderndem Verhalten" führen könne - von "Aggression" wolle sie nicht sprechen, betonte Schönbacher. Würden Menschen nicht verstanden, wollten sie das eben auf anderem Weg erreichen, "da kann es passieren, dass man ein Glas vom Tisch wischt oder laut wird". Je mehr Menschen mit Demenz an ihren alltäglichen Fähigkeiten verlören, desto feinfühliger würden sie und "desto mehr werden Stimmungen wahrgenommen und widergespiegelt".
Angehörigen empfahl die Pflegeexpertin, sie sollten Menschen mit Demenz "am Leben teilhaben" lassen: "Besuchen Sie die Lokale, die Sie früher besucht haben. Auch wenn sie es wieder vergessen: Die Menschen fühlen das, erleben die schönen Momente." Da die Krankheit in der Gesellschaft noch scham- und angstbesetzt sei, müsse der Gefahr des Rückzugs entgegengewirkt werden. Zugleich sei es als Angehöriger in der Betreuung wichtig, auf eigene Bedürfnisse zu achten. Viele Menschen gingen ganz in dieser Aufgabe auf; das gehe oft auch lange gut, sei aber irgendwann nicht mehr zu schaffen: "Nehmen Sie sich Auszeiten, ziehen Sie rechtzeitig die Handbremse", so Schönbachers Appell.