Franz Fischler: „Es gibt keine Freiheit auf Kosten der Freiheit anderer Menschen.“
Franz Fischler: „Es gibt keine Freiheit auf Kosten der Freiheit anderer Menschen.“
Migration, Rauchverbote, staatliche Ermittlungen, Wirtschaft, Pensionsvorsorge:
Das Abwägen zwischen den Werten Freiheit und Sicherheit nimmt einen prominenten Platz im (politischen) Leben ein. „Freiheit und Sicherheit“ lautet auch das Thema des derzeit laufenden Europäischen Forums Alpbach in der bekannten Tiroler Gemeinde. Franz Fischler, Forums-Präsident und früherer EU-Kommissar, lotet das heurige Thema im Gespräch aus.
Wir wollen das Europäische Forum Alpbach von einer Diskussionsplattform zu einem Inkubator weiterentwickeln, zu einem Brutkasten, wo konkrete Vorschläge entstehen, um die Probleme unserer Zeit erfolgreich anzupacken“, sagte Franz Fischler bei der Eröffnung des 74. Europäischen Forums Alpbach.
„Wir zeigen konkrete Wege auf, wie engagierte Bürgerinnen und Bürger die Demokratie und die Herrschaft des Rechts verteidigen können.“ Wie die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gefunden werden könnte, erläutert der Forums-Präsident im Interview.
Es gibt autoritäre Entwicklungen, zum Beispiel in Ungarn oder Polen, aber auch die Umfragewerte der „Alternative für Deutschland“ in Ostdeutschland: Sieht es nicht so aus, als wären zunehmend Menschen bereit, die Freiheit auf dem Altar vermeintlicher Sicherheit zu opfern?
Franz Fischler: Diese Tendenz gab es schon immer. In dem Text, welchen die Philosophin Ágnes Heller heuer knapp vor ihrem Tod für ihre Rede hier in Alpbach geschrieben hat, verweist sie auf den biblischen Auszug aus Ägypten: Die Israeliten werden aus der Unfreiheit herausgeführt, aber in der Wüste sehnen sie sich zur Versorgungssicherheit an die ägyptischen Fleischtöpfe zurück.
Ein anderes Beispiel bietet uns die Aufklärung. Schon Jean-Jacques Rousseau hat festgestellt: „Der Mensch ist frei geboren und beinahe überall liegt er in Ketten.“ Die Spannung zwischen Freiheit und Sicherheit begleitet die Menschheit seit jeher.
Sie haben aber recht, dass wir in eine neue Phase der Geringschätzung der Freiheit eintreten: Nach dem Schockerlebnis des Zweiten Weltkriegs war die Freiheit ein großes Thema. Der Philosoph und langjährige Teilnehmer am Forum Alpbach Karl Popper hat ja gemahnt: „Wir müssen für die Freiheit planen und nicht für die Sicherheit.“
Heute sehen wir dagegen Tendenzen in den USA, in Europa und in Asien, wo vermeintliche Sicherheit wichtiger ist als der Wert der Freiheit. Das gipfelt schließlich in der sogenannten illiberalen Demokratie (die Leute wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán vertreten, Anm.).
Nun argumentieren aber auch Leugner des Klimawandels oder Vertreter der Raucherlobby mit der Freiheit: Sie und andere behaupten zugespitzt, auf uns käme eine Welt voller neuer Verbote zu.
Das ist völliger Unsinn. Es gibt keine Freiheit auf Kosten der Freiheit anderer Menschen. Das gilt im Falle der Rauchverbote, aber auch für die Leugner des Klimawandels. Was letztere als „Freiheit“ bezeichnen, ist nicht nur eine Freiheit auf Kosten anderer, sondern auf Kosten aller zukünftigen Generationen. Das ist nichts anderes als purer Egoismus. Freiheit dagegen setzt voraus, dass es Regeln gibt, um möglichst viel Freiheit für alle zu schaffen.
Sie haben jüngst einen harten Brexit ohne Vereinbarung mit der EU als sehr wahrscheinlich bezeichnet. Auch den Briten wurde ja eine „Befreiung“ aus dem „Joch der EU“ versprochen. Wo liegt der Fehlschluss in dieser Darstellung?
Das hauptsächliche Versprechen der Brexiteers (Austrittsbefürworter, Anm.)war, dass mit dem EU-Austritt der Weg für das Vereinte Königreich zurück zum Glanz des britischen Empire frei würde. Außerhalb Großbritanniens glaubt das freilich niemand.
Aber natürlich hat man vor dem Austrittsreferendum den Menschen unter anderem eingeredet, man müsse sich nach dem Austritt nicht mehr um die Regeln der EU kümmern. Das ist eine Illusion: Wenn Großbritannien mit der EU Handel treiben möchte (und das ist lebensnotwendig), muss es auch künftig EU-Standards einhalten.
Im Übrigen lautet ja das Grundkonzept der EU, ein „Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts“ zu sein.
Rechtsstaatlichkeit und Freiheit sind die höchsten Werte der EU. Aber sie werden natürlich so verstanden, dass alle Mitglieder dieses Verbundes möglichst viel Freiheit haben sollen. Das setzt vernünftige Regeln voraus.
Ein „Überwachungsstaat“ verspricht zwar Sicherheit, greift aber in die persönlichen Freiheiten der Bürger ein. Haben technische Entwicklungen dazu beigetragen, dass wir heute wieder mehr über Freiheit und Sicherheit sprechen müssen?
Die Entwicklungen in der Informationstechnologie, aber auch die Sozialen Medien ermöglichen nicht nur dem Staat mehr Überwachung. Auch Unternehmen sammeln Daten. Jeder, der ein Smartphone besitzt, sollte wissen, dass eine Unmenge von Daten über ihn aufgezeichnet wird. Diese ermöglichen mit Hilfe von Algorithmen die Erstellung eines Profils von ihm, anhand dessen ihm gezielt Informationen, vor allem Werbung, angetragen werden.
Hier entstehen neue Unfreiheiten, die aber nicht als solche empfunden werden, weil das ohne unser Zutun geschieht. In China und anderen nicht-demokratischen Staaten werden diese Daten längst zur Überwachung verwendet. Als demokratische Staaten müssen wir das Thema neu angehen, wobei das nicht auf nationalstaatlicher Ebene geschehen kann: Österreich kann nicht verhindern, dass Google Daten sammelt. Das muss auf internationaler Ebene geschehen.
Ein anderer Bereich ist der sogenannte Wirtschaftsliberalismus, exakter ausgedrückt: libertäre Ansichten. Hat uns erst die Klimakrise daran erinnert, dass extreme Formen des ungezügelten Wirtschaftens auf Kosten der Sicherheit von Menschen gehen?
Das ist etwas einseitig. Zwar hat die Wirtschaft einen großen Anteil an den Klimaproblemen, aber auch wir als Konsumenten haben unseren Beitrag an deren Bewältigung zu leisten. Denken wir daran, wie wir unsere Häuser und Wohnungen heizen und zunehmend auch klimatisieren? Oder machen wir uns bewusst, welche Auswirkungen unser Fleischkonsum auf das Klima hat?
In der Wirtschaft sind die Fortschritte in der Verringerung der CO2-Belastung mittlerweile größer als auf Konsumentenseite. Auch hier sind gesamteuropäische Lösungen nationalen Alleingängen vorzuziehen, wenn etwa das CO2-Zertifikatshandelssystem jenen „Biss“ bekommen soll, der zu Veränderungen führt.
Es ist gut, wenn die Proteste der jungen Menschen rund um Greta Thunberg ein Nachdenken provozieren. Aber die nächste Zukunftsfrage ist dann: Wie schaut der nächste Generationenvertrag für die soziale Sicherheit aus, wenn wir in Europa die älteste Bevölkerung der Welt haben?
Das spirituelle Angebot beim Europäischen Forum Alpbach wurde heuer um Abend-Reflexionen erweitert. Die Idee dazu kam von Ihnen. Was steckt dahinter und welche Bedeutung hat das überkonfessionelle spirituelle Programm insgesamt für das Forum?
Wir haben schon bisher Morgenbetrachtungen angeboten und werden diese beibehalten – auch weil sie von der Alpbacher Bevölkerung gut besucht werden. Aber junge Menschen am Forum sind früh am Morgen nicht unbedingt auf spirituelle Impulse aus. Daher werden wir heuer zusätzlich am frühen Abend Reflexionen anbieten.
Ich bin überzeugt, dass eine entsprechende „geistige Nahrung“ und Besinnung auf Grundwerte im Forum seinen Platz haben muss. Mit dem nun zum zweiten Mal stattfindenden Tag der Begegnung haben wir hier schon einen Akzent gesetzt.
Es geht darum, zur Ruhe zu kommen, weil das Nachdenken auch ein entsprechendes Ambiente braucht und es während des hektischen Konferenzbetriebs schwierig ist, Einkehr zu halten. Hierfür wurden jetzt die Bedingungen verbessert und davon erwarte ich mir eine gewisse Inspiration.
zur Person:

Franz Fischler
Geboren
am 23. September 1946 in Absam, Tirol
Ausbildung
Studium der Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur, Wien, Promotion zum Dr. rer. nat. oec. im November 1978
Beruflicher Werdegang
1985-1989 Direktor der Landwirtschaftskammer Tirol
1989-1994 Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft
1990 und 1994 zum Abgeordneten des Nationalrats der Republik Österreich gewählt
1995-2004 Mitglied der Europäischen Kommission, zuständig für Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, ab 1999 auch für Fischerei
ab 2005 Geschäftsführer der Franz Fischler Consult GmbH
seit 2012 Präsident des Europäischen Forums Alpbach
Verheiratet mit Heidi, Vater von vier erwachsenen Kindern