Mehr als 6.000 Menschen nach Angriff mit an die 200 Toten in Dorf im Bundesstaat Benue auf der Flucht - Kirchliches Hilfswerk: "Dramatischer Höhepunkt einer seit Wochen andauernden Welle von Überfällen auf mehrheitlich christliche Dörfer".
Nach dem Massaker mit bis zu 200 Toten in einem Dorf im zentralnigerianischen Bundesstaat Benue haben Kirchenvertreter gegenüber dem internationalen katholischen Hilfswerk "Kirche in Not" von der furchtbaren Lage vor Ort berichtet. Menschen seien niedergemetzelt worden, "überall lagen Leichen verstreut", sagte der katholische Gemeindepfarrer von Yelewata, Ukuma Jonathan Angbianbee, nach Angaben der Hilfsorganisation vom Dienstag. Der Pfarrer geht demnach davon aus, dass radikale Fulani-Hirten hinter dem Anschlag vom Freitag stecken. Die schlecht ausgerüsteten Sicherheitskräfte hätten den Angriff nicht verhindern können.
Laut "Kirche in Not" konnte die Polizei am Abend des Überfalls noch einen Angriff auf die St.-Josef-Kirche in Yelewata verhindern, in der 700 Menschen aus umliegenden Gemeinden Schutz gesucht hatten. "Die Angreifer wandten sich anschließend den Notunterkünften auf dem Marktplatz der Gemeinde zu, wo sie Berichten zufolge die Gebäude mit Treibstoff als Brandbeschleuniger anzündeten und in einem Bereich das Feuer eröffneten, in dem mehr als 500 Menschen schliefen", teilte das Hilfswerk mit.
"Kirche in Not" sprach vom "dramatischen Höhepunkt einer seit einigen Wochen andauernden Welle von Überfällen auf mehrheitlich christliche Dörfer in der Region". Tausende Menschen seien zuletzt nach Yelewata gekommen, weil die Stadt als relativ sicher gegolten habe. Nach dem aktuellen Angriff hätten viele die Stadt jedoch verlassen. Mehr als 6.000 Menschen seien nach dem tödlichen Angriff auf der Flucht, gab die nationale Katastrophenschutzbehörde Nigerias am Montag bekannt.
Papst Leo XIV. hatte am Sonntag beim Mittagsgebet in Rom auf das "schreckliche Massaker" aufmerksam gemacht und - offenbar auf Basis von Informationen aus der örtlichen Diözese Makurdi - die Zahl von etwa 200 Menschen genannt, die auf grausame Weise getötet worden seien. Überlebende berichteten am Montag laut Nachrichtenagentur AP von mindestens 150 Toten, wobei in den verbrannten Häusern immer noch nach Vermissten gesucht werde.
In Benues Hauptstadt Makurdi gab es lokalen Medien zufolge bereits am Sonntag Proteste, wie die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) meldete. Vor allem Jugendliche forderten ein Ende der Gewalt und kritisierten Gouverneur Hyacinth Iormem Alia. Er ist übrigens der erste katholische Priester, der in Nigeria ein so hohes politisches Amt innehat. Remigius Ihyula, Direktor des Caritas-Komitees für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden der Diözese Makurdi, sagt im Gespräch mit der KNA jedoch: "Wir sind nicht komplett geschockt. Hier werden täglich Menschen ermordet."
Zu den Ursachen der Gewalt gibt es unterschiedliche Interpretationen, wie die KNA erläuterte. Lange wurde in Nigerias Middle Belt - ein geografischer Gürtel, der sich von Ost nach West mitten durch Nigeria zieht - vom Farmer-Viehhirten-Konflikt gesprochen. Mit der wachsenden Bevölkerung begann ein Kampf um fruchtbares Weide- und Ackerland. Konflikte entstanden, weil Vieh bestellte Felder zerstörte, Bauern aber auch einstige Weidekorridore und Wasserstellen blockierten. Mitunter erhielt die Auseinandersetzung einen religiösen Anstrich: Die sesshaften Bauern bekennen sich überwiegend zum Christentum, während die Hirten der ethnischen Gruppe der Fulani angehören und Muslime sind. Deshalb wurde - verschiedenen Experten zufolge fälschlicherweise - von Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen gesprochen.
Die Motive von Landnutzung, Ethnie und Religion in dem Konflikt überlagern sich. In der Zwischenzeit gebe es innerhalb der ursprünglich als Nomaden lebenden Fulani "schwer bewaffnete, dschihadistische Strömungen", hielt das Hilfswerk "Kirche in Not" jetzt fest. "Hier erleben wir ein anhaltendes Blutbad. An einem Tag töten sie drei Menschen, an einem anderen zehn", zitierte der vatikanische Missionspressedienst "Fides" laut "Vatican News" am Montag Remigius Ihyula, den Koordinator der Kommission für Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden der Diözese Makurdi.
Er teile auch nicht die Ansicht, wonach die Fulani-Hirten Opfer des Klimawandels seien, fuhr der Priester fort. Die Fulani würden von einer islamistischen Ideologie motiviert, so Ihyula. "Sie wollen das Land christlicher Bauern erobern, um dort einen islamischen Staat zu errichten." Er selbst habe als Leiter der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der Diözese Makurdi den Dialog mit den Fulani gesucht, doch diese hätten abgelehnt.