Ein ausführliches Interview mit Kardinal Christoph Schönborn zur Ukraine-Thematik und weiteren Themen hören Sie am Freitag, 21. Dezember um 17.30 Uhr auf radio klassik Stephansdom. Eine Wiederholung am Sonntag, 23. Dezember um 17.30 Uhr.
Ein ausführliches Interview mit Kardinal Christoph Schönborn zur Ukraine-Thematik und weiteren Themen hören Sie am Freitag, 21. Dezember um 17.30 Uhr auf radio klassik Stephansdom. Eine Wiederholung am Sonntag, 23. Dezember um 17.30 Uhr.
Unabhängige orthodoxe ukrainische Landeskirche vom Kirchenrecht her völlig in Ordnung, reißt aber tiefe Wunde in die russische orthodoxe Kirche und in die ökumenische Beziehungen zwischen orthodoxer und katholischer Kirche.
Als "tragisch" hat Kardinal Christoph Schönborn den orthodoxen Kirchenstreit rund um die Ukraine bezeichnet. Zum einen verstehe er, dass es gemäß dem orthodoxen Kirchenverständnis bei der politischen Unabhängigkeit eines Staates auch eine eigenständige orthodoxe Landeskirche geben könne. Darauf gebe es einen Anspruch und darauf würden sich in der Ukraine auch viele Orthodoxe berufen. Zum anderen wisse er freilich auch um die engen Verbindungen zwischen Russland und der Ukraine und um die große Bedeutung, die die Ukraine für die Russische orthodoxe Kirche habe und welch tiefe Wunde damit in diese Kirche gerissen wird. Schönborn äußerte sich im Weihnachtsinterview mit "kathpress" und den Medien der Erzdiözese Wien.
Die Entscheidung von Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel, der orthodoxen Kirche in der Ukraine die Autokephalie zu verleihen, sei kirchenrechtlich völlig in Ordnung, unterstrich Schönborn. Er stellte zugleich aber wörtlich fest: "Nicht, dass ich es der Ukraine nicht gönnen würde, aber ich empfinde es als tragisch, denn es reißt tiefe Wunden in die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ukraine und Russland. Und deshalb war meine erste Reaktion so, dass ich bei dieser Nachricht geweint habe."
Die Ukraine war nicht nur die Kornkammer Russlands sondern auch der "Saatboden für das kirchliche Leben" der russischen Kirche, erinnerte der Kardinal. Sehr viele russisch-orthodoxe Pfarren würden sich in der Ukraine befinden, und auch viele bedeutende Bischöfe stammten aus der Ukraine. Kiew sei der Geburtsort der russischen Orthodoxie. Schönborn: "Mit der Ukraine verliert die russisch-orthodoxe Kirche ein Kernland." Für Russland sei nicht zuletzt auch deshalb die politische Unabhängigkeit der Ukraine von Anfang an nur sehr schwer zu akzeptieren gewesen. Die traditionelle enge Verbindung zwischen Russland und der Ukraine zeige sich nicht zuletzt auch daran, dass vor allem in der Ostukraine die meisten Menschen Russisch als Muttersprache hätten.
Kritisch äußerte sich der Wiener Erzbischof zur Politik des Westens: Der Westen habe die Ukraine zwar zur Unabhängigkeit ermutigt, zugleich aber nicht in gleicher Weise zur Bewahrung der Verbundenheit mit Russland gedrängt. Das westliche Konzept einer "Ukraine als Bollwerk gegen Russland" müsse von Russland psychologisch und politisch als Aggression gedeutet werden." Aufgabe der Ukraine müsste es seiner Meinung nach vielmehr sein, als "Brücke zwischen Russland und dem Westen" zu fungieren, betonte der Kardinal.
Nun habe man einen "unseligen Konflikt" vor sich, die Schuld liege auf allen Seiten, und er wisse auch keine Lösung, so der Wiener Erzbischof. "Ich bete, dass Gott einen Weg findet, aus diesem Streit wieder herauszufinden."
Auch für die Katholische Kirche sei die aktuelle Situation sehr schwierig, erläuterte Schönborn: "Wie soll der Vatikan mit der neuen autokephalen orthodoxen Kirche in der Ukraine umgehen? Wenn er sie anerkennt, kommt es zum Konflikt mit dem Moskauer Patriarchat. Tut er es nicht, gibt es einen Konflikt mit dem Ökumenischen Patriarchat." Der eigentlich innerorthodoxe Streit führe deshalb auch zu einer tiefen Wunde für die Ökumene, "die eigentlich vermeidbar gewesen wäre".
Am 15. Dezember hat sich in Kiew auf einem Konzil eine neue ukrainische orthodoxe Landeskirche konstituiert. In der Kiewer Sophienkathedrale versammelten sich mehr als 100 Bischöfe, Priester und Laien, um die Kirchenverfassung zu beschließen und Metropolit Epiphanius zum Oberhaupt zu wählen. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., erkennt die neue Kirche an. Das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie kündigte in einer Erklärung an, er werde dem neugewählten Oberhaupt, Metropolit Epiphanius (39), die Bulle (Tomos) über die Anerkennung als neue "autokephale (eigenständige) Schwesterkirche" zum orthodoxen Weihnachtsfest am 6. Jänner in Istanbul übergeben. Damit wird sie aus Sicht Konstantinopels allen bislang 14 eigenständigen orthodoxen Kirchen gleichgestellt.
Die russisch-orthodoxe Kirche lehnt die neue ukrainische Kirche strikt ab und wirft Kiew eine Verfolgung der dem Moskauer Patriarchat unterstehenden ukrainischen Kirche vor. Das Moskauer Patriarchat hatte auch seine ca. 90 Bischöfe in der Ukraine zum Boykott des Konzils aufgerufen, was bis auf zwei Ausnahmen auch eingehalten wurde. Moskau pocht auf seine kirchliche Oberhoheit über die Ukraine. Aus Protest gegen die Gründung der eigenständigen ukrainischen Landeskirche brach die russisch-orthodoxe Kirche bereits ihre Kontakte zum Ökumenischen Patriarchat ab. Zudem verbot sie ihren Gläubigen die Teilnahme an Gottesdiensten in dessen Kirchen.
Kardinal Christoph Schönborn hat einmal mehr ein deutliches Bekenntnis zur europäischen Integration abgelegt. Er mache sich Sorgen, "dass das, was über Jahrzehnte in Europa zusammengewachsen ist, nun wieder auseinanderbrechen könnte", so der Kardinal in dem Interview mit "kathpress" und den Medien der Erzdiözese Wien. Der vielerorts aufbrechende Nationalismus sei eine ernste Gefahr.
Der Wiener Erzbischof nahm hinsichtlich Europa aber auch verstärkt die Kirchen in die Pflicht. Er hätte sich zumindest erhofft, dass zumindest die katholische Kirche in Europa in zentralen Fragen mit einer Stimme auftreten würde. Etwa wenn es darum gehe, eine einheitliche Migrationspolitik voranzubringen.
Doch es habe sich gezeigt, dass es auch hier innerhalb der europäischen Bischöfe keine Übereinstimmung gebe. Man habe es nicht geschafft, zu einer gemeinsamen Position zu kommen, wie viel Migration Europa vertrage. Der Kardinal verwies in diesem Zusammenhang etwa auf Positionen Ungarns, das dem Islam grundsätzlich ablehnend gegenüberstehe, oder auch auf Portugal, das keine Flüchtlinge mehr aufnehmen will. Man müsse wohl auch innerhalb der Kirche damit leben lernen, dass es hier einen Pluralismus an Standpunkten gebe.
Trotzdem gelte generell, dass die katholische Kirche für den europäischen Integrationsprozess eine bedeutende und Rolle spiele. Ein Beispiel dafür sei die Arbeit der EU-Bischofskommission ComECE mit Sitz in Brüssel.
Auf Österreich angesprochen mahnte der Vorsitzende der Bischofskonferenz mehr politische Aufmerksamkeit für den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft ein. Zum einen sei dieser Zusammenhalt gefährdet, zum anderen wolle er aber auch auf die vielen Menschen hinweisen, die sich ehrenamtlich innnerhalb und außerhalb der Kirche für ihre Mitmenschen engagieren; etwa in der Arbeit mit Flüchtlingen oder Menschen mit Beeinträchtigungen.
Erfreut zeigte sich der Kardinal, dass die österreichische Bundesregierung sich nun verstärkt für die Christen im Nahen Osten einzusetzen will. Dass nun eine Million Euro für Wiederaufbauprojekte zur Verfügung gestellt werden, damit die Menschen in ihrer Heimat bleiben können, bezeichnete Schönborn als einen guten ersten Schritt. Er hoffe nun sehr auf weitere.
Auf die Missbrauchskrise in der katholischen Kirche angesprochen, die auch 2018 wieder virulent war, betonte der Kardinal einmal mehr, dass das Wohl der Opfer stets Vorrang vor der Sorge um den Ruf der Kirche haben müsse. Es gelte der Grundsatz: "Die Wahrheit wird euch frei machen". Alles andere schade letztlich auch nur der Glaubwürdigkeit der Kirche. Diese müsse mit Fehlern in den eigene Reihen ehrlich und wahrhaftig umgehen.
Zur seit Jahren laufenden Reform innerhalb der Erzdiözese Wien zeigte sich der Erzbischof überzeugt, dass man gut auf dem Weg sei. Er verstehe gewisse Widerstände auch aus persönlichen Erfahrungen, "weil Kirche viel mit Beheimatung zu tun hat", aber das Bewusstsein, dass es eine Veränderung geben muss, sei nun wohl in der gesamten Erzdiözese angekommen. "Wir können nicht an etwas festhalten, das sich sowieso verändert", so Schönborn wörtlich.
Er hob positiv hervor, dass bei der jüngsten Diözesanversammlung im vergangenen September kaum mehr über Strukturen debattiert wurde, sondern vielmehr die spirituelle Dimension des Reformprozesses im Vordergrund gestanden sei. "Wir alle müssen stets ein vitales Interesse daran haben, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und sie einzuladen", so Schönborn wörtlich.
"radio klassik Stephansdom" sendet das Weihnachtsinterview mit Kardinal Schönborn gleich zwei Mal: am Freitag, 21. Dezember, und am Sonntag, 23. Dezember, jeweils um 17.30 Uhr. Der Sender ist auf den terrestrischen Frequenzen 107,3 MHz (Wien) und 94,2 MHz (Graz) sowie in vielen Kabelnetzen in ganz Österreich empfangbar. Via Livestream und Radiothek ist das Programm außerdem im Internet weltweit hör- und abrufbar.
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