Der Schlüssel zum Verständnis seines Wirkens bleibt sein bischöflicher Wahlspruch aus dem 15. Kapitel des Johannesevangeliums „Ich aber habe euch Freunde genannt.“
Der Schlüssel zum Verständnis seines Wirkens bleibt sein bischöflicher Wahlspruch aus dem 15. Kapitel des Johannesevangeliums „Ich aber habe euch Freunde genannt.“
Troubleshooter für Orts- und Weltkirche. Freundschaft als Schlüsselwort für sein Wirken über regionale und religiöse Grenzen hinweg.
"Erinnern Sie sich an den Sturm nach Amoris laetitia? Häresie, Häresie! Zum Glück gab es da Kardinal Schönborn, einen großen Theologen, der die Dinge geklärt hat.“ Als Papst Franziskus beim Rückflug aus der Slowakei kürzlich diese hohe Anerkennung aussprach, wurde dies beinahe selbstverständlich aufgenommen.
Als Pater Christoph Schönborn, österreichischer Dominikaner und Theologe in Fribourg /Schweiz vor dreißig Jahren, am 29. September 1991 (exakt am 28. Jahrestag seines Eintritts in den Dominikanerorden) im Wiener Stephansdom zum Bischof geweiht wurde, fiel der Empfang zwar wohlwollend, aber auch reserviert aus. Zwar lobte etwa der Pastoraltheologe Paul Zulehner Schönborns hohe theologische Kompetenz und Dialogbereitschaft, aber allein die Tatsache, dass er Redaktionssekretär des damals noch in Entstehung begriffenen Weltkatechismus war, erweckte bei anderen deutliche Skepsis.
Auch für Schönborn selbst war Wien zunächst eine „terra incognita“, die er erst langsam als Weihbischof mit den Agenden „Wissenschaft, Kunst und Kultur“ kennenlernte. Dass er bereits knapp vier Jahre später die Leitung der Erzdiözese mitten in einer die österreichische Kirche tief erschütternden Krise übernehmen würde, war damals noch nicht abzusehen. Bei der Bewältigung der Krise rund um seinen Vorgänger Kardinal Groer und der folgenden Konflikte und Veränderungen von Kirche und Gesellschaft wurde Schönborn zunehmend zum lernenden und gleichzeitig prägenden Oberhirten - auch über die Grenzen der der Erzdiözese und über Österreich hinaus. Der im internationalen Vergleich frühe und entschieden offene Umgang der österreichischen Bischöfe mit Missbrauch im kirchlichen Bereich wird wesentlich ihm zugeschrieben. Der bisherige Höhepunkt seines offenen Zugangs auf die Opfer kirchlicher Gewalt war das international beachtete TV- Gespräch mit der früheren Ordensfrau Doris Wagner 2019.
Innerkirchlich reagierte Schönborn mit dem anhaltenden Diözesanprozess auf die sich unübersehbaren Veränderungen in Kirche und Gesellschaft. Den Vorrang dabei haben für ihn nach wie vor die spirituelle Erneuerung und der missionarische Grundauftrag der Kirche. Er selbst blieb dabei stets seiner dominikanischen Grundausrichtung treu. Jahrelang hielt er viel beachtete abendliche Katechesen im Stephansdom.
Bis heute ist sein Kommentar zum Sonntagsevangelium im größten österreichischen Printmedium die meistgelesene Predigt Österreichs. Auch in den sozialen Medien ist Schönborn seit vielen Jahren präsent. Seine Accounts auf Facebook und Twitter haben im deutschsprachigen Raum insgesamt über 100 000 Follower. Er führt damit die Kirchenvertreter des deutschen Sprachraums an.
Gleichzeitig kommt man nicht umhin bei Kardinal Schönborn den freundschaftlichen Dialog mit allen, besonders auch mit Andersdenkenden, zu erwähnen. Der Schlüssel zum Verständnis seines Wirkens bleibt sein bischöflicher Wahlspruch aus dem 15. Kapitel des Johannesevangeliums „Ich aber habe euch Freunde genannt“. Nach Schönborns Verständnis wächst aus der persönlichen Freundschaft mit Christus eine echte Freundschaft zum Menschen oder wie er es zuweilen weniger biblisch ausdrückt: „Nur wer tiefe Fundamente hat, kann weite Brücken bauen.“
In der zunehmend säkularen österreichischen Gesellschaft ist Kardinal Schönborn in den vergangenen dreißig Jahren zu einer weithin anerkannten Autorität geworden. Ob in der Flüchtlingskrise, der anhaltenden Pandemie, der drohenden Spaltung der Gesellschaft oder der Sorge um die Klimakrise, Kardinal Schönborn wird auch von Nichtchristen als Sprecher der Religionsgemeinschaften Österreichs anerkannt. Besonders eindrucksvoll zeigte sich das in der Feier am Abend nach dem Attentat vom 2. November 2020 in der gemeinsamen Feier von Religionsgemeinschaften und Vertretern des öffentlichen Lebens im Wiener Stephansdom.
Sein Charisma zu Verständigung bewährte sich auch auf weltkirchlicher Ebene. Auf den verschiedenen Bischofssynoden wird Schönborns Stimme nicht nur gehört. Der anfangs zitierte Satz von Papst Franziskus darf wohl als Bestätigung für das Gewicht von Kardinal Schönborns Beiträgen auf den Synoden - nicht nur in jüngster Zeit- verstanden werden. Die Wertschätzung der Päpste begleitet ihn übrigens seit der Ära Papst Johannes Pauls II. Kein Geheimnis ist auch die besondere Verbundenheit zu seinem Lehrer aus Studienzeiten, Papst Benedikt XVI. Gleichzeitig zieht sich durch Schönborns Wirken eine unerschütterliche Loyalität gegenüber dem jeweiligen Papst. Diese, von manchen als simple Anpassung missverstandene Haltung, ist in Wahrheit Ausdruck seines kompromisslosen Vertrauens in das Amt des Papstes, in dem er den Garanten der Einheit der Kirche sieht.
Unvollständig bliebe dieser Rückblick ohne die besondere Sensibilität Schönborns für Menschen am Rand der Gesellschaft, eine Zuneigung, die durchaus erwidert wird. So waren etwa zu Schönborns 70. Geburtstag 2015 zahlreiche Obdachlose eingeladen. Diese wiederrum beschenkten ihn mit einem, auf verschlungenen Wegen organisierten Überraschungsanruf von Papst Franziskus. Ein schönes Beispiel, wie konkret mitunter sein Motto von der „Freundschaft Christi“ wird.