Kommentar von Kardinal Christoph Schönborn in der Tageszeitung HEUTE am 23.4.2025
Der Ostermontag versprach, ein herrlicher Frühlingstag zu werden. Er wurde es auch. In der Natur war zu spüren, warum Ostern das Fest der Auferstehung ist. Alles blüht auf. Doch dann – ein Anruf aus Rom. Der Papst ist gestorben! Kurz darauf läutet die Pummerin. Die Medien berichten, unterbrechen die Sendungen. Ich wurde im Lauf des Tages mehrmals gefragt: Wie ging es Ihnen bei dieser Nachricht? Ehrlich geantwortet, war mein erster Gedanke: Papst Franziskus ist an Ostern gestorben! Was für ein Sterbedatum! Die Auferstehung Jesu!
Vor einem Tag, am Ostersonntag, hat Franziskus in spürbar körperlicher Schwäche den Segen „urbi et orbi“ gespendet. Ich spürte seine unerschütterliche Entschlossenheit, den Menschen nahe zu sein. Die Bilder, wie er im Papamobil die Via della Conciliazione entlangfuhr, bleiben unvergesslich. Letzte Eindrücke vom Papst!
Meine erste Begegnung mit ihm reicht zurück ins Jahr 1997. Damals war er Weihbischof in Buenos Aires, Argentiniens Hauptstadt. Schon damals beeindruckte er durch seine Einfachheit, seine Liebe zu den Armen, von denen es in seinem Land so viele gibt. Vom ersten Tag seines Pontifikats an haben wir ihn so erlebt: spontan, unkonventionell, aufmerksam für alle Formen der Armut. Ein klares Signal war das Ziel seiner ersten Reise: die Insel Lampedusa im Mittelmeer, Ziel vieler Bootsflüchtlinge aus Nordafrika. Sein Einsatz für die Flüchtlinge stieß nicht nur auf Zustimmung, bis zum Schluss. Sein Brief an die US-Regierung noch kurz vor seinem Tod war ein heftiger Protest gegen die Massenabschiebung von Flüchtlingen. Er erinnerte unermüdlich daran, dass alle Menschen Geschwister sind. Die Leidenschaft für die Rechtlosen, Ausgegrenzten, Notleidenden bezog Papst Franziskus direkt aus der Botschaft Jesu, dem Evangelium. Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter war ihm Leitbild: Verschließen wir nicht die Augen vor dem Leid der Welt! Ich höre noch, wie er immer wieder in seiner spanischen Heimatsprache sagte: „Todos, todos, todos“ – „alle, alle, alle“! Er war einfach überzeugt, dass die Liebe Gottes allen Menschen gilt. Jeder Mensch hat eine unverletzliche Würde, selbst wenn er schuldig geworden ist. Noch am Gründonnerstag hat er ein großes Gefängnis in Rom besucht. Es war seine letzte „Reise“ vor seinem Tod. Auch das ist seine Botschaft!
Franziskus suchte das Gespräch mit Menschen aller Glaubensrichtungen, insbesondere mit Muslimen. Ein Höhepunkt war die Erklärung von Abu Dhabi, die er gemeinsam mit dem Großscheich von Al-Azhar unterzeichnete, ein Bekenntnis zur universalen Geschwisterlichkeit aller Menschen: Wir alle sind Brüder und Schwestern. Uns allen ist die Bewahrung unseres gemeinsamen Lebensraumes, der Mutter Erde, anvertraut.
Ebenso leidenschaftlich war sein Einsatz für Frieden und Versöhnung, sein Anprangern des Wahnsinns der Kriege. Berührend sind die vielen Beispiele seiner persönlichen Friedensinitiativen, um verfeindete Parteien zur Versöhnung zu bewegen. Von der Kirche erwartete er, dass sie sich nicht nur mit sich selber beschäftigt. Sie soll die Türen öffnen und hinausgehen an die Peripherien. Sein gelebtes Vorbild bleibt ein großer Ansporn. Sein Tod ist ein Verlust für eine Welt, die sich immer mehr in Kriege und Konflikte verwickelt. Mich tröstet, dass er nie aufgegeben hat, trotz Krankheit und Behinderung. Wie tröstlich, dass er am Ostermontag sterben konnte. Im festen Glauben an die Auferstehung durfte er zu Gott heimkehren.